“Die Installation "Jäten im Paradies" ist ein Raum im Raum. Der Raum ist klein und auch oben geschlossen, eine Brüstung stoppt den ohnehin unsicheren Gang. Die Tür schließt von selbst, Töne erklingen, lang gezogen und in großen Abständen. Man ist allein, das Licht ist sehr schwach, schwärzlich, bläulich, wird fast unmerklich heller und dann langsam nach und nach wieder dunkler. Vor der Brüstung fällt der Raum noch ein Stück weit in die Tiefe ab. Die Wände und die Decke haben ein intensives Blau, ungleichmäßig und verwischt, das in dem engen Raum Weite erzeugt und an Meer und Himmel erinnert.
Es befinden sich zwei Objekte im Raum: an der Wand lehnend, eine Art Pflug oder Ackergerät aus Holz, kunstvolles Handwerk, auch ein wenig wie ein Schlitten, seitlich ragt eine eher kreisförmige drehbar wirkende Vorrichtung heraus. Leicht sieht es aus und doch stabil, es lädt zur Berührung, nein zur Verwendung, zur Handhabung ein, doch die tatsächliche Bestimmung ist unbekannt. Jäten?
Von oben herab ragend, mit langen Metallbändern greifend, sich durch die an die Wände geworfenen Schatten verdoppelnd, ein filigranes Metallobjekt, an die ‚Engel der Geschichte' erinnernd. Ist das Objekt ein wundersames harfenähnliches Instrument, das die Töne erzeugt, die wie Wassertropfen an den elegant geschwungenen Bändern herab perlen? Oder sind es Wurzeln, die irgendwo da oben Bäume halten und mit Kraft versorgen? Im Paradies?
Wenn es gelingt die leichte Beklemmung, hervorgerufen durch die Begrenzung des Raumes, das Alleinsein und die mentale Anspannung, die Begegnungen mit Kunst auslösen können, zu überwinden, verlangsamt sich die Atmung, Ruhe kehrt ein. Man lauscht den er- und verklingenden Tönen nach, gewinnt Zeit und verändert sich ein wenig, vielleicht nur für einen Moment.“
Gedanken zur Installation "Jäten im Paradies'", erstmals gezeigt auf der der Galmer Hofkultur 2008.
„Himmel und Erde - derart konventionell lassen sich zwei Konstanten in Gerhard Göschels Werk der letzten Jahre beschreiben. Auf der einen Seite finden sich immer wieder leichte, geschwungene Formen, die beim Betrachter Bilder des Fliegens und Schwebens hervorrufen. Oft glaubt man schwingenbewehrten Wesen gegenüberzustehen, die von Klängen umweht in höheren Sphären heimisch sind. Auf der anderen Seite dominieren die harte Linie, der Bruch und die scharfe Kante. Einzelteile, Splitter der Welt formieren sich, versuchen Ordnungen zu schaffen und organisieren sich zu mal symmetrischen, mal katarakthaften Mustern.
Ein Blick in die Kunstgeschichte bietet andere Möglichkeiten der Beschreibung. Auf der formalen Ebene finden sich da zwei mögliche Paten der beiden Dimensionen in Göschels Werk: William Hogarth einerseits, der der S-förmigen Linie als the line of beauty den höchsten Schönheitswert zuschrieb, und Giovanni Battista Piranesi andererseits, dessen gespenstisch aufgetürmte Architektur-Phantasien sich, wie auch seine vom jähen Raum- und Lichtwechsel geprägte Veduten- und Ruinenmalerei, ins kollektive Gedächtnis der abendländischen Menschheit eingeschrieben haben.
Der Engländer Hogarth (1697-1764) und der Italiener Piranesi (1720-1778) sind - und das erlaubt diesen Vergleich - Zeitgenossen, aber solche wie sie kaum unterschiedlicher sein könnten. Sie stehen beide an der Schwelle zur modernen Welt und weisen dieser ihren Weg. Hogarth, der satirische Kritiker der herrschenden Verhältnisse, tut das, indem er der Menschheit in seinem Spiegel ihr lachhaftes Bild vorhält, um so die Emanzipation aus der Unmündigkeit zu betreiben. Piranesi hingegen, der pathetische Träumer zwischen Barock und Klassizismus, stellt sich zwar ebenfalls gegen die Zeit, doch seine utopischen Welten, die sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit weisen, schaffen fernab der Realität eine Welt der Kompensation - nie erreichbar für unsereins.
Beide nun gehören zusammen, denn sie haben beide den Glauben, daß eine gute, heile Welt möglich ist. Der eine glaubt, daß sie noch kommen wird und die Menschheit ihr entgegen schreitet; der andere, daß sie
längst in Trümmern vor uns liegt und alles weitere nur noch Niedergang ist. Erst in der Konfrontation dieser unvereinbaren Gegensätze zeigt sich die Welt, wie sie vermutlich wirklich ist: Sie ist Aufstieg und Niedergang, Zusammenbruch und Aufbau. Sie war nie heil und wird es nie sein. Gegen die allgegenwärtigen Ganzheitssehnsüchte verhilft nur die Ironie, sich der Widersprüchlichkeit der Welt als des Grundtatbestands menschlichen Lebens zu stellen. Der Gedanke, diese Welt sei nichts als ein großer Scherz, mag heilsamer sein, als dem vorgeblichen Ernst des Lebens zu huldigen. Denn diese Art der Ironie, die alles und zuerst sich selbst in Frage stellt, die weder zynisch noch distanziert-weltflüchtig ist, gebiert das Lachen.
Und so sind Göschels Werke: Man findet in ihnen neben Hogarths line of beauty auch dessen Schalk. Und man findet in ihnen Piranesis Konstruktion neuer Dinge aus den Trümmern des Alten, aber auch dessen traumhafte Visionen. Weil sie aber weder das eine noch das andere sind, sondern beides zugleich, weil sie keine Botschaften des Heils und keine des Niedergangs verkünden wollen, sondern dem Betrachter zutrauen, daß er seinen Weg schon findet, sind sie Werke einer Kunst, die einen neuen Dialog wagt und sich nicht darauf kapriziert, es besser als andere zu wissen.
Man findet leichter einen Zugang zu Göschels Werken - ganz gleich ob überdimensionale Skulptur oder kleine Statuette, ob man ihnen im öffentlichen Raum, im privaten Sammlerambiente oder im Atelier des Künstlers begegnet - faßt man sie als gegenständlich gewordene Fragen auf. Um keinesfalls falsch verstanden zu werden: Ein Kunstwerk verkörpert nicht eine einzige Frage, vielmehr ist es eine Anregung, Fragen zu stellen, aber auch zum genaueren Hinsehen. Gerhard Göschel möchte, wenn man so will, Nachdenklichkeit produzieren. Diese aber soll und darf keineswegs bitterernst sein. Im Gegenteil: Wer sich Arbeiten Gerhard Göschels genauer betrachtet, mag dabei zumindest eine Entdeckung machen: Die Entdeckung der Ironie.“
Text aus dem Katalog "Gerhard Göschel 1997 - 1999", anlässlich der Ausstellung im Bildungszentrum der TK, Hayn, 2000 erschienen.
„…bewundernswert ist auch, dass die einzelnen Partien in der Art, wie sie zusammengefügt sind, formale Ensembles bilden, wie wir sie aus einigen der besten Bilder der frühen Moderne kennen. Eher noch wichtiger ist aber die Beobachtung, dass die einzelnen Partien und die gesamte Skulptur nicht nur überraschend spannend und schön sind, sondern dass sie zu allerlei, aber nicht eindeutigen Assoziationen einladen, die ihrerseits wieder Gefühlseindrücke hervorrufen: Ein konvexer Körper, beispielsweise, ganz oben an einer Vorderkante der Säule, erinnert an ein mittelalterliches Schild oder ein Wappenschild oder in ganz anderer Richtung an eine Predigerkanzel... Bei dem horizontalen
Balken an der Decke, der mit einem ziemlich gleichmäßigen, ebenflächigen prismatischen Körper beginnt und mit nunmehr gestreifter Oberfläche in immer bewegteren Stufen und Wellen aus seiner Prismenstarre ausbricht und beim Einmünden in/ Anstoßen an die gegenüberliegende Wand endgültig birst und aus dessen aufgerissenen Kanten ein‚ „Klötzchenstrom” – eher ein „Klötzchenchaos” – herausquillt, gehen die Assoziationen nicht in Richtung Rohrbruch, sondern eher in Richtung kaltes Magma oder eine undichte Büchse der Pandora.“
Zitat aus dem Katalog „Jäten im Paradies“ über die Rauminstallation im Musikzimmer von Prof. Dr. Rudolf und Anca Güntsch.
„Hier geht's hinein. Rechts ins Sekretariat, links, mit dem Fahrstuhl oder über die Treppe, hoch ins Internat. Wer hier eintritt, raschen Schritts, hat ein Ziel und weiß, wo hin er will. Jedenfalls im Augenblick. Aber so für die Zukunft, fürs Leben? Weiß man das? Vielleicht sollte man mal stehen bleiben, sich umsehen: Wie schön das Licht durch die hochgezogenen Fenster fällt. Doch was ist denn das? Was schwebt da in der Luft? Kunst?
Man muss den Dingen Bedeutung beimessen. Sie ernst nehmen, drüber nachdenken und so tun, als hätte alles in der Welt einen Sinn. Dann kann man durchs Leben gehen, dann kann man sich einlassen auf Menschen, auf Dinge, auf sich selbst. Das kann man üben, sollte man auch. Auf der Stelle: hochschauen. Was sieht man?
Zugegeben, es ist nicht leicht. Vieles fliegt dort. Doch was ist es, was da seine Schwingen ausgebreitet hat: Flugzeuge? Drachen? Flugsaurier? Sie schweben, segeln auf der Stelle. Oder schwimmen sie durch die Lüfte? Sind wir in ein großes Aquarium geraten mit seltsamen Geschöpfen, die so aussehen, als hätte es sie nie gegeben? Fragen über Fragen. Aber Fragen sind nun mal spannender als Antworten. Stünde hier: Der Künstler Gerhard Göschel hat mit einer lichten, leicht schwebenden Installation künstlerisch auf die hohe, helle Architektur des Architekten Daniel Gutmann reagiert und dadurch ein beeindruckendes Raumerlebnis vollendet - dann wäre das zweifellos richtig
aber irgendwie auch sehr langweilig.
Denn Erlebnisse kann man nur machen - und nicht beschreiben. Also muss man sich schon selbst hinstellen und in die Luft gucken, bis der Nacken anfängt zu schmerzen und man glaubt, den Wind zu spüren. Man kann aber auch die Treppe hochgehen, von jedem Absatz aus staunen, wie sich die einzelnen Elemente verschieben, sich dabei zu immer neuen Bildern arrangieren. Und schließlich von ganz oben auf die fliegenden Wesen hinunterschauen, beobachten, wie das Licht mit ihnen spielt und sich fragen, was geschähe, wenn sie durchs Glas hinaus flögen, über Potsdam hinweg in den märkischen Himmel hinein. Am nächsten Tag titelten die Zeitungen: UFOs über Sanssouci!
Als der Dichter Lenz damals durchs Gebirge ging, um beim Pfarrer Oberlin Hilfe zu finden, war ihm zuweilen nicht ganz wohl: "Müdigkeit spürte er keine", berichtete Georg Büchner, "nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte." Auf dem Kopf gehen? Ja, warum denn nicht. Das täte ihm vielleicht ganz gut, dem Kopf. Dann müsste er nicht so viel denken. So viel grübeln über das, was angeblich wichtig ist im Leben. Dann wäre er auch nicht so schwer und wir könnten da sein, wo unsre Träume längst sind. Da oben. Schwebend.“
Impressionen zur Rauminstallation im REHA-Assessment-Center des Oberlin-Hauses in Potsdam-Babelsberg.
„Als ich Gerd Göschel 1962 kennenlernte, unsere damaligen Freundinnen und späteren Ehefrauen kannten sich aus dem Studium und hatten uns miteinander bekannt gemacht, war ich als Student der Mathematik und Physik zutiefst davon überzeugt, dass das, was der da machte, nutzloses Zeug sei.
Als Gerd dann nach Berlin zog und ich immer öfter Gelegenheit hatte, beim Schaffen dieses „nutzlosen Zeugs“ zuzusehen oder zumindest Etappen der Entstehung ebendessen wahrzunehmen, kam mir, zumal bald als Besitzer einiger seiner Werke, „Zeug“ nicht mehr in den Sinn, während sich „nutzlos“ noch immer und glücklicherweise immer noch und ganz stolz und zurecht stolz behauptet hat.
Als angehender Mitspieler einer Effizienzgesellschaft, von dieser geleitet und beschränkt, habe ich durch die Freundschaft mit Gerd so nach und nach begriffen, dass Kunst, vor allem die heutige moderne, autonom gewordene Kunst – und wohl erst sie – auch und ganz entschieden Bewegung gegen eben diese Effizienzgesellschaft ist, weil sie deren „Nutzen” nicht teilt. Frei von der Fessel jeweiliger „Nutzen” stellt Kunst immer und prinzipiell jede Herrschaft in Frage. Sie kann aussprechen, wofür der „Nutzen” blind ist und das Absurde einer von Herrschaft entstellten Welt bloßlegen.
Kunst war und ist auch immer in die Ideologie positiver Herrschaft verstrickt. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Kunst stets in der Gefahr ist, sich mit der jeweils „gültigen” Herrschaft und ihrem Nutzen zu versöhnen, Kirchenmalerei und sozialistischer Realismus
aber auch der Apo-Aktionismus mit seiner Nutzformel von der „Revolution” als der „Gestalt des Schönen” sind hierfür allenthalben akzeptierte Beispiele.
Die Dialektik der Kunst schafft aber auch immer eine Herrschaft von innen. Aufbrüche in der Kunst von heute werden schnell zur „Herrschaft” von morgen, und jede Form von Ästhetizismus und ihrer günstigen Vermarktung birgt zugleich ein „Erschlaffen ästhetischer Kraft” in sich.
Gerd hat sich gegen Ende seiner Berliner Zeit schrittweise in die dritte Dimension begeben und entgeht mit seinen Objekten auf diese Weise ganz mühelos der von Walter Benjamin so vehement beschriebenen technischen Reproduzierbarkeit eines Kunstwerks. Seine Aura geht nicht verloren.
Die hier abgebildete Kalotte hat in einer nächtlichen Berliner Sitzung mit einer Reihe von Freunden ihren Namen erhalten. Einige meiner Freunde wollten sie gern „Weltausstellung” nennen. Der darin enthaltene finale Status quo würde dem Objekt aber aus meiner Sicht nicht gerecht.
Die alles „noch” überwölbende Bedachung wartet auf ihre Sprengung. Der vielgestaltige Bewuchs im Innern ist im Begriff die unverschämte Begrenzung nach oben aufzubrechen. Die Bedachung gibt vor, die intelligente Komplexität unter sich und unter dem Deckel zu halten, wenngleich sie in ihrer hilflosen Starre insgeheim darauf wartet aufgebrochen zu werden.“
Text zur Arbeit Kalotte im Katalog "Jäten im Paradies".
Immer wieder geht es bei den Arbeiten Gerhard Göschels um Geschichten und Geschichte, die großen wie die kleinen, die eigene wie die kollektive. Keine kann ohne die andere sein. Ihr Ort ist das Buch. Niedergeschrieben sind sie für immer fixiert und erzählen von Dingen und Geschehnissen, die es verdient haben, sich in unser Gedächtnis einzugraben. Ihre Lektüre lässt uns nachdenken über die Dinge. Die da waren und die da kommen. Das Buch hortet das, was nicht verloren gehen darf; das, was verdient hat, bewahrt und überliefert zu werden. Jedes Buch ist ein Vermächtnis.
„Vermächtnis“ nannte auch Erwin Chargaff eine Sammlung von Essays. Als Naturwissenschaftler hatte Chargaff maßgeblichen Anteil an der Entschlüsselung der menschlichen DNA und ist damit einer der Begründer der modernen Genforschung geworden. Weil er aber erfahren musste, was es heisst, wenn der Mensch damit beginnt, nicht nur im Buch des Lebens zu lesen, sondern sich anmaßt, dessen Geschichte selbst zu schreiben und damit in die
Schöpfung einzugreifen, wandte er sich von der Genetik ab und trat fortan als einer ihrer schärfsten Kritiker auf. Das ist sein -Vermächtnis.
Gerhard Göschel greift in seinen Arbeiten oft zum Holz, diesem warmen, natürlichen und als nachwachsenden, auch nachhaltigen Material. Sein Buch „Vermächtnis“ steht auch für diesen Kreislauf: Es ist wieder Holz gewordenes Papier. So wie der, der die Geschichten darin liest, diese wieder zum Leben erweckt und damit das Vermächtnis des Schreibens vollzieht.
Man muss das Buch nur betrachten, staunen, wie das Licht, je nach Standort neue Schatten wirft und neue Strukturen, Aspekte aufscheinen lässt. So ist es auch mit der Geschichte und den Geschichten: Wer immer sie liest, je nach dem wo er steht im Leben und in der Zeit, stets erscheinen sie neu und unerhört. Das ist des Buches Vermächtnis.
Text zur Arbeit "Große Buch-Vermächtnis" aus dem Katalog "Jäten im Paradies".